Der Abend ist hereingebrochen. Das Licht ist sanft, der Alltag liegt hinter uns, die Welt wird ruhiger. Und dann kommt dieser besondere Moment: Das Buch wird aufgeschlagen, kleine Kinderhände kriechen unter die Decke, große Augen warten gespannt auf die erste Stimme, den ersten Satz, das erste Abenteuer. Es ist Vorlesezeit – und diese Zeit ist oft mehr als nur ein Tagesabschluss. Sie ist ein Geschenk.
In diesem Artikel nehme ich Dich mit auf eine Reise durch die Welt des Vorlesens. Du erfährst, warum dieses kleine Abendritual so viel mehr ist als eine nette Gewohnheit. Warum es Nähe schafft, Vertrauen aufbaut, Fantasie beflügelt – und nicht zuletzt: Warum es für uns Großeltern eine wunderbare Möglichkeit ist, tiefe Spuren in kleinen Herzen zu hinterlassen.
Der Zauber beginnt: Warum Kinder Geschichten brauchen
Kinder lieben Geschichten. Das ist keine Floskel, das ist eine tiefe Wahrheit. Schon die Allerkleinsten lauschen fasziniert, wenn eine vertraute Stimme beginnt, Worte in Bilder zu verwandeln. Geschichten geben Kindern Struktur, helfen beim Verarbeiten von Erlebtem, machen Mut und bringen sie zum Lachen.
Und genau deshalb ist das Vorlesen am Abend so besonders: Es verbindet das beruhigende Ritual des Zubettgehens mit der aufregenden Welt der Fantasie. Wenn draußen die Dunkelheit anbricht, sorgt die vertraute Stimme von Oma oder Opa für Sicherheit und Geborgenheit.
Nähe in Seitenform: Was Vorlesen mit Beziehung zu tun hat
Wenn wir vorlesen, dann tun wir das nicht nebenbei. Wir sind ganz da. Unsere Aufmerksamkeit gehört dem Kind, dem Buch, dem Moment. Und diese hundertprozentige Zuwendung ist es, die das Vorlesen so wertvoll macht.
Es entsteht ein Raum, in dem sich Herz zu Herz öffnet. Das Kind darf Fragen stellen, lachen, nachdenken – und weiß: Ich werde gehört. Ich bin wichtig.
Gerade für Großeltern ist das ein riesiges Geschenk. Denn oft haben wir nicht mehr den Alltagsstress wie früher als Eltern. Wir können uns die Zeit nehmen, in Ruhe zu lesen. Ein Kapitel mehr. Noch eine Seite. Und manchmal auch noch eine zweite Geschichte.
Abendroutine mit Wirkung: Warum Regelmäßigkeit zählt
Rituale geben Kindern Halt. Wenn sie wissen, dass jeden Abend vorgelesen wird, entsteht etwas Verlässliches. Etwas, worauf sie sich freuen können – selbst wenn der Tag mal chaotisch war.
Dieses kleine Abendritual hilft dabei, runterzukommen, loszulassen und entspannt in den Schlaf zu finden. Es signalisiert: Der Tag ist zu Ende. Jetzt wird es ruhig. Und Du bist sicher.
Für viele Kinder wird diese Routine irgendwann zu einem festen Bestandteil ihrer Kindheitserinnerung. Und mal ehrlich – schöner kann man doch nicht in Erinnerung bleiben, oder?
Mehr als nur Geschichten: Was das Vorlesen alles fördert
Das Vorlesen ist ein echtes Multitalent. Es hat nicht nur emotionale Wirkung, sondern fördert ganz nebenbei auch:
- Sprachentwicklung: Neue Wörter, Satzstrukturen, Ausdrücke – all das wird spielerisch aufgenommen.
- Konzentration: Beim Zuhören trainieren Kinder ihre Aufmerksamkeitsspanne.
- Empathie: Geschichten lassen Kinder sich in andere hineinversetzen, mitfühlen, mitdenken.
- Fantasie: Die Bilder im Kopf, die beim Vorlesen entstehen, sind oft bunter als jeder Bildschirm.
Und das Beste daran: All das geschieht ganz ohne Druck, ohne Lernen-müssen, sondern einfach durch Zuhören, Staunen und Mitfühlen.
Der Moment danach: Was bleibt, wenn das Buch zu ist
Kennst Du das auch? Das Kind kuschelt sich nach dem Vorlesen noch enger an Dich, stellt vielleicht noch eine letzte Frage – oder flüstert ein „Ich hab dich lieb“, bevor die Augen zufallen.
Solche Momente sind unbezahlbar. Sie zeigen, dass das Vorlesen nicht nur dem Kind guttut, sondern auch uns. Es bringt uns zur Ruhe. Lässt uns mit dem Tag versöhnen. Und schenkt uns das Gefühl: Ich habe etwas Wertvolles gegeben.
Kleine Tipps für große Vorlesemomente
Damit das Vorlesen am Abend wirklich zur schönsten Routine wird, hier ein paar Tipps aus meiner eigenen Erfahrung:
- Wähle Bücher mit Herz. Geschichten, die Euch beide berühren oder zum Lachen bringen, bleiben am längsten im Gedächtnis.
- Schaffe eine Vorleseecke. Ein gemütlicher Platz mit Kissen, Decke und vielleicht einem Kuscheltier macht viel aus.
- Lass das Kind mitentscheiden. Die Lieblingsgeschichte zum hundertsten Mal? Kein Problem – für Kinder ist Wiederholung Geborgenheit.
- Lies mit Gefühl. Stimmen verstellen, Pausen machen, leise und laut – all das macht Geschichten lebendig.
- Sprich danach kurz darüber. Was war schön? Was war komisch? Das Gespräch danach vertieft das Erlebte.
Was, wenn das Kind nicht zuhören will?
Auch das gibt es: Tage, an denen das Vorlesen nicht klappt. Die Gedanken sind woanders, die Ungeduld groß.
Mein Rat: Kein Druck. Kein „Du musst jetzt zuhören“. Biete es an, bleib offen – und wenn es heute eben keine Geschichte gibt, dann vielleicht morgen. Wichtig ist die Haltung: Ich bin da, wenn du willst.
Geschichten, die besonders gut am Abend wirken
Nicht jede Geschichte ist gleich gut für die Abendstunden geeignet. Manche regen auf oder machen nervös. Andere hingegen sind wie ein leiser Gute-Nacht-Kuss. Hier ein paar bewährte Themen:
- Freundschaft und Geborgenheit
- Tiere und Natur
- Fantasievolle Traumreisen
- Klassiker mit ruhigem Erzählton (z. B. „Der kleine Bär“ oder „Pettersson und Findus“)
Du musst dabei nicht immer die neuesten Bücher haben – oft sind es gerade die alten, bewährten Geschichten, die am meisten berühren.
Und was ist mit Hörbüchern?
Auch Hörbücher haben ihren Platz. Sie können eine schöne Ergänzung sein – gerade, wenn man mal heiser ist oder die Enkel alleine einschlafen. Aber sie ersetzen das gemeinsame Vorlesen nicht.
Denn kein Lautsprecher der Welt kann die Nähe, den Blickkontakt und das gemeinsame Lachen ersetzen, wenn wir mit echter Stimme lesen.
Der letzte Satz des Tages
„…und dann schlief der kleine Bär zufrieden ein.“ – Oft ist es ein solcher Satz, der den Vorleseabend beendet. Und auch, wenn das Kind längst schläft, bleiben wir noch einen Moment sitzen, das Buch auf dem Schoß, ein warmes Gefühl im Bauch.
Denn Vorlesen ist eben nicht nur für Kinder. Es tut auch uns gut. Es bringt uns zurück zu unseren eigenen Kindheitsmomenten, zu Geschichten, die uns geprägt haben.
Fazit: Ein kleines Ritual mit großer Wirkung
Vorlesen ist so viel mehr als nur eine Beschäftigung am Abend. Es ist ein Fenster in andere Welten. Ein Brücke zwischen Generationen. Eine Liebeserklärung in Sätzen und Seiten.
Wenn wir unseren Enkeln regelmäßig vorlesen, schenken wir ihnen nicht nur Geschichten – wir schenken ihnen ein Stück von uns. Und uns selbst schenken wir eine tägliche Erinnerung daran, wie wertvoll Nähe, Ruhe und gemeinsame Zeit sind.
Also: Licht dimmen, Buch aufschlagen, Herz öffnen. Es ist Vorlesezeit.