Zeit mit den EnkelnVorlesen & Geschichten erzählenMein Trick: Wie ich auch mit kratziger Stimme spannend vorlese

Mein Trick: Wie ich auch mit kratziger Stimme spannend vorlese

Warum die Stimme nicht perfekt sein muss – und wie kleine Tricks Großes bewirken können

Es war einer dieser Abende, an denen meine Stimme mehr nach altem Schallplattenspieler klang als nach lebendigem Vorlese-Opa. Der Hals kratzte, die Worte klangen wie durch einen Filter gezogen – rau, brüchig, nicht gerade märchenhaft. Aber da saß mein Enkel, das Buch schon aufgeschlagen, erwartungsvoll auf meinem Schoß. Und in seinem Blick lag dieses: „Na los, Opa, erzähl mir was.“

Aufgeben war keine Option. Und so habe ich mit der Zeit meine ganz eigenen Tricks entwickelt, wie das Vorlesen auch mit angeschlagener Stimme funktioniert – und zwar spannend, lebendig und voller Gefühl. Mit den Jahren habe ich gelernt, dass nicht nur die Geschichte zählt, sondern auch die Art, wie wir sie präsentieren. Und manchmal braucht es keine laute Stimme, sondern nur einen warmen Blick und ein wenig Mut zur Pause.

In diesem Artikel erfährst Du, wie Du trotz heiserer Stimme echte Vorlesemagie erschaffst. Ich zeige Dir einfache Kniffe, wie Du Deine Erzählweise anpassen kannst, worauf es wirklich ankommt – und warum Kinder oft gar nicht die perfekte Stimme brauchen, sondern einfach DICH. Denn Vorlesen ist keine technische Disziplin, sondern ein Herzenshandwerk.

Wenn die Stimme versagt – aber das Herz erzählen will

Wer viel vorliest, kennt das: Eine Erkältung, zu viel gesprochen oder einfach ein trockener Hals – und schon klingt man, als hätte man Sandpapier verschluckt. Früher dachte ich, das ginge so nicht. Heute weiß ich: Gerade diese brüchige Stimme kann eine Geschichte besonders lebendig machen. Wenn man sie richtig einsetzt.

 

Denn spannend vorlesen hat weniger mit perfektem Klang zu tun als mit Haltung. Es geht um Stimmung, Präsenz und Gefühl. Kinder brauchen keine perfekten Sprecher, sondern Menschen, die mit ihnen gemeinsam in eine Geschichte eintauchen. Manchmal sind es gerade die kleinen Häkchen in der Stimme, die eine Szene besonders authentisch machen.

Tipp 1: Langsamer lesen, bewusster betonen

Mit kratziger Stimme neige ich automatisch dazu, langsamer zu lesen. Und genau das ist oft ein Vorteil. Denn Pausen, Betonungen und langsames Erzählen sorgen für Spannung. Die Kinder hören plötzlich noch genauer hin. Die Geschichte bekommt Raum zu wirken. Und genau darin liegt der Zauber.

Du kannst zum Beispiel einzelne Wörter gezielt in den Vordergrund holen:

„Und dann… kam der DRACHE… mit einem lauten… Grrrrrr…“

Die Stimme mag rau sein – aber wenn Du das Tempo reduzierst und Pausen einbaust, entsteht wie von selbst eine Dramaturgie. Und diese Dramaturgie kann sich manchmal stärker entfalten als in jedem perfekten Vortrag. Kinder hören nicht nur die Worte, sie spüren auch das Herz dahinter.

Tipp 2: Mit der Mimik sprechen

Wenn die Stimme nicht alles schafft, springt das Gesicht ein. Kinder lesen unglaublich viel aus unseren Blicken, unserer Mimik, unserem Lächeln. Unsere Augen sprechen oft lauter als jedes Wort. Und gerade beim Vorlesen ist diese stille Kommunikation ein echtes Geschenk.

Ein hochgezogener Augenbraue kann genauso viel Spannung erzeugen wie ein gruselig gesprochenes Wort. Ein verschmitztes Grinsen ersetzt jedes „harharhar“ des Bösewichts. Ein erschrockener Blick oder ein verzogenes Gesicht beim „Monster hinter der Tür“ wirken oft mehr als jede tiefe Stimme.

Also: Setz deine Augen ein! Spiel mit den Brauen! Und vor allem – genieß den Moment. Mach es zu einem kleinen Schauspiel mit viel Gefühl.

Tipp 3: Flüstern ist manchmal spannender als Rufen

Wenn ich nicht mehr krächzen will, flüstere ich. Und siehe da: Die Kinder rücken näher. Denn Flüstern wirkt wie ein Geheimnis. Und Geschichten leben von Geheimnissen. Es entsteht eine fast magische Spannung, wenn die Worte nur gehaucht sind. Die Aufmerksamkeit steigt, jedes Detail wird intensiver wahrgenommen.

„Und dann… kam der Schatz… ganz tief unten…“

Ein leises Erzählen erzeugt Aufmerksamkeit. Und spart gleichzeitig die Stimme. Manche Kinder lieben diese leisen Erzählabende sogar besonders, weil sie sich dann ganz besonders eingebunden fühlen. Es entsteht eine intime, vertraute Atmosphäre.

Tipp 4: Die Geschichte leben, nicht vorspielen

Ich hab gelernt: Es geht nicht darum, große Show zu machen. Kinder merken, ob man ehrlich dabei ist. Selbst wenn meine Stimme brüchig ist – wenn ich selbst staune, lache, mitfiebere, dann tun sie es auch. Sie orientieren sich nicht an Perfektion, sondern an Authentizität.

Authentizität übertrifft jede Theaterkunst. Wenn Du selbst berührt bist, bist Du automatisch spannend. Manchmal habe ich mitten in der Geschichte innegehalten, einfach weil ein Gedanke oder eine Szene mich selbst bewegt hat. Diese Echtheit ist für Kinder greifbar und wertvoll.

Tipp 5: Die eigenen Grenzen erkennen und liebevoll nutzen

Manchmal muss man auch ehrlich sagen: Heute geht nicht viel. Dann wähle ich bewusst kurze Geschichten. Oder ich bitte meinen Enkel: „Lies Du mir doch heute mal vor.“

Das lieben Kinder! Sie schüpfen in meine Rolle, nehmen das Buch in die Hand, und mit ein bisschen Hilfe wachsen sie daran. Manchmal entsteht daraus sogar ein neues Ritual, bei dem wir uns abwechseln. Und das ist eine wunderbare Gelegenheit, gemeinsam zu wachsen.

Kinder lernen dabei Selbstbewusstsein, Ausdruck und natürlich Lesen. Und sie erleben: Auch Erwachsene haben mal eine Pause verdient.

Kleine Hilfsmittel für große Wirkung

Wenn die Stimme streikt, helfen oft auch ganz einfache Dinge:

  • Ein warmes Getränk bereitstellen: Honigtee wirkt Wunder. Auch Fenchel- oder Salbeitee kann wohltuend sein.
  • Raumklima verbessern: Trockene Luft macht alles schlimmer. Ein Luftbefeuchter oder einfach eine Schale Wasser auf der Heizung kann helfen.
  • Lippen mit etwas Salbe pflegen: Wer viel spricht, braucht weiche Lippen.
  • Kurze Stimmübungen: Summen, leises „mmm“ oder Lippenflattern helfen manchmal.
  • Lutschpastillen oder Bonbons: Manchmal hilft ein kleines Mittelchen zwischendurch.

Und was ich immer griffbereit habe: Wasser. Am besten still. In kleinen Schlucken. Die Stimme ist wie ein Instrument – sie braucht Pflege, Aufmerksamkeit und auch mal eine Pause.

Geschichten aussuchen, die die Stimme entlasten

Nicht jede Geschichte muss laut und dramatisch sein. Es gibt wunderbare ruhige Erzählungen, die gerade in sanftem Ton ihre ganze Kraft entfalten:

  • Traumreisen („Stell dir vor… du fliegst auf einer Wolke…“)
  • Tiergeschichten mit leiser Stimmung
  • Geschichten über Freundschaft, Vertrauen, Kuschelabenteuer
  • Alltagserlebnisse aus der Sicht von Tieren oder Kindern
  • Fantasievolle Geschichten ohne Konflikte

Manchmal macht gerade die Ruhe den Zauber. Und diese Ruhe tut auch uns gut, wenn die Stimme nicht mitspielt.

Wenn das Kind nicht merkt, dass Opa heiser ist

Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ich fast gar keine Stimme hatte. Ich flüsterte mich durch eine kleine Bärengeschichte. Am Ende sagte mein Enkel: „Opa, das war so spannend!“

Er hatte gar nicht gemerkt, dass ich angeschlagen war. Für ihn war wichtig, dass ich da war. Dass ich mir Zeit genommen habe. Dass wir gemeinsam gereist sind, ins Land der Geschichten. Für Kinder zählt das Gefühl, nicht die Technik.

Und seien wir ehrlich: Diese Abende sind es, die uns als Vorlesende besonders im Herzen bleiben.

Vorlesen ist keine Leistungsschau

Wir müssen nicht perfekt klingen. Wir müssen nicht alle Rollen verstellen. Es geht nicht um Schauspielerei, sondern um Herz. Und dieses Herz braucht keine klare Stimme. Es braucht einfach den Mut, sich auf die Geschichte einzulassen – und auf das Kind gegenüber.

Kinder erinnern sich später nicht daran, ob du heute etwas heiser warst. Sie erinnern sich an den Moment. An das warme Licht. An deinen Duft. An das Gefühl, sicher zu sein.

Mein ganz persönliches Vorlese-Notfallprogramm

An besonders rauen Tagen habe ich folgende Strategie:

  1. Kurze, ruhige Geschichte auswählen
  2. Flüsternd lesen mit vielen Pausen
  3. Ganz nah beieinandersitzen
  4. Zwischendurch das Kind fragen: „Was meinst du, was passiert jetzt?“
  5. Am Schluss eine Frage zum Träumen stellen: „Was würdest du machen, wenn du der kleine Bär wärst?“

So wird auch mit kratziger Stimme ein echter Vorlese-Abend daraus. Und manchmal ist er sogar besonders innig.

Fazit: Es kommt nicht auf die Stimme an – sondern auf Dich

Ich habe gelernt: Es braucht keine perfekte Stimme. Es braucht Dich. Mit Deiner Liebe, Deiner Aufmerksamkeit, Deiner Freude am Erzählen. Mit Deinen Blicken, Deinem Lächeln, Deiner Präsenz.

Kinder wollen keine Show. Sie wollen Verbundenheit. Sie wollen Geschichten hören – von DIR.

 

Also nimm das Buch, krächze, flüstere, pausiere. Und wenn nichts mehr geht: Lass das Kind selbst erzählen. Oder kuschelt euch einfach zusammen und denkt euch gemeinsam eine Geschichte aus.

Denn letztlich ist das Vorlesen nichts anderes als ein gemeinsames Abenteuer. Und für dieses Abenteuer ist jede Stimme gut genug – solange sie von Herzen kommt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Opas Empfehlungen

Die letzten Beiträge

More article