Opa erzählt – mit Herz & HumorErinnerungen aus meiner KindheitMein allererstes Fahrrad – und wie ich gegen den Zaun fuhr

Mein allererstes Fahrrad – und wie ich gegen den Zaun fuhr

Ein wackeliger Anfang, zwei schrammige Knie – und eine Erinnerung fürs Leben.

Es gibt diese Erlebnisse, die sich tief ins Herz brennen. Nicht, weil sie besonders spektakulär oder außergewöhnlich gewesen wären – sondern weil sie einfach ehrlich, ungeschönt und voller Gefühl waren. Mein erstes Fahrrad war genau so ein Erlebnis. Vielleicht kennst Du das auch: Dieses Kribbeln im Bauch, diese Mischung aus Vorfreude und Unsicherheit, wenn Du zum ersten Mal allein in die Pedale trittst. Dieses Gefühl von Freiheit, das mit einem kleinen Lenker und zwei Reifen daherkommt. Bei mir allerdings endete dieser erste Versuch nicht mit einem Siegeszug durch die Nachbarschaft – sondern mit einem lauten Rums und einem ziemlich störrischen Holzzaun. Aber lass uns ganz vorne anfangen…

Der große Traum vom eigenen Rad

Ich muss ungefähr sechs Jahre alt gewesen sein. Damals war ein eigenes Fahrrad kein Kinderspielzeug – es war ein Symbol. Ein Versprechen auf Abenteuer. Ein Stück Unabhängigkeit. Und, wenn ich ehrlich bin, auch ein kleiner Meilenstein auf dem Weg zum „richtigen“ Großwerden.

 

Meine Eltern hatten es finanziell nicht leicht. Große Sprünge waren nicht drin, aber sie spürten, wie sehr ich mir ein Fahrrad wünschte. Also wurde gespart, gefeilscht, vielleicht auch hier und da auf etwas verzichtet – und dann, eines sonnigen Frühlingstages, stand es plötzlich vor mir: mein allererstes Fahrrad. Es war rot lackiert, hatte einen verchromten Lenker mit schwarzen Gummigriffen, einen klapprigen Gepäckträger hinten und – ich schwöre es Dir – den lautesten Dynamo im ganzen Viertel.

Es war kein neues Rad. Es hatte schon Gebrauchsspuren, ein paar Kratzer am Rahmen und einen leichten Achter im Hinterrad. Aber für mich war es das schönste Fahrzeug der Welt. Ein kleiner roter Blitz, bereit, mit mir die Welt zu erobern.

Die erste Begegnung – Stolz und zittrige Knie

Ich stand also da. In kurzen Hosen, mit Sommersprossen auf der Nase, den Haaren vom Frühlingswind zerzaust – und mit einem Grinsen im Gesicht, das wahrscheinlich mein gesamtes Gesicht eingenommen hat. Mein Vater hielt das Rad fest, während ich zögerlich aufstieg. Und ich fühlte mich – ohne Übertreibung – wie ein König auf seinem Thron.

Die ersten Meter waren… sagen wir mal: abenteuerlich. Mein Gleichgewichtssinn war noch nicht ganz wach, der Lenker fühlte sich an wie eine störrische Wildkatze, und die Pedale schienen sich jedes Mal wegzudrehen, wenn ich sie treffen wollte. Aber ich trat in die Pedale. Wackelig, unsicher – aber immerhin. Ich fuhr. Also fast.

Meine Mutter stand ein paar Meter entfernt mit der Kamera, mein Vater lief nebenher, rief ermutigende Worte, und ich? Ich war völlig fokussiert. Auf das Halten des Gleichgewichts. Auf das Geradeausfahren. Auf den Versuch, nicht umzufallen. Und natürlich auf diesen einen Gedanken: Jetzt bin ich wirklich groß.

Der Zaun und ich – eine sehr einseitige Liebesgeschichte

Direkt an der Straße entlang verlief ein alter Lattenzaun. Aus Holz, grau verwittert, mit einer leichten Schräglage, die ihm Charakter verlieh. Er war wahrscheinlich schon zu meiner Geburt dort gestanden und hatte in seinem langen Leben einiges gesehen. Und an diesem Tag, da sah er mich kommen.

Ich hatte gerade ein wenig mehr Fahrt aufgenommen. Die Sonne schien mir ins Gesicht, ich hörte meine Eltern jubeln, und in meinem Kopf lief bereits der Film von meinem ersten erfolgreichen Fahrradritt. Doch dann kam diese kleine Kurve. Eine eigentlich harmlose, unscheinbare Kurve.

Ich versuchte zu lenken. Zu spät. Zu wenig. Mein Vorderrad geriet ins Schlingern. Ich verlor das Gleichgewicht, versuchte mit einem hektischen Ruck gegenzusteuern – aber es war zu spät. Der Zaun war schneller.

Was dann folgte, war eine Art Zeitlupe. Das dumpfe Geräusch, als Metall auf Holz traf. Mein Lenker, der sich plötzlich querstellte. Und ich – in einer sehr unvorteilhaften Position – halb auf dem Fahrrad, halb am Boden, meine Knie im Gras, mein Stolz irgendwo zwischen den Latten verteilt.

Tränen, Trost – und der erste kleine Sieg

Natürlich kullerten Tränen. Die Mischung aus Schreck, Schmerz und Frust war zu viel für mein kleines Herz. Aber mein Vater, der rannte sofort zu mir, half mir auf, klopfte mir sanft das Gras von den Knien und sagte mit einem Augenzwinkern: „Na, das war ja mal ’ne elegante Landung.“

Meine Mutter kam mit einem feuchten Lappen, einem Pflaster und einer ihrer berühmten „Alles-wird-gut“-Umarmungen. Ich bekam eine Limonade, durfte mich kurz auf die Bank setzen – und dann geschah das, was mich bis heute beeindruckt: Ich wollte wieder aufsteigen.

Keine halbe Stunde später saß ich wieder im Sattel. Etwas vorsichtiger, mit einem Pflaster am Knie und leicht zitternden Händen – aber ich fuhr. Ein paar Meter weiter. Dann noch ein paar mehr. Und plötzlich fuhr ich um die Ecke. Ganz allein.

Was ich vom Zaun – und dem ganzen Erlebnis – gelernt habe

Heute, viele Jahrzehnte später, denke ich oft an diesen einen Tag. Der Zaun ist längst verschwunden, das Fahrrad wahrscheinlich irgendwo auf einem Schrottplatz oder im Fundus der Erinnerungen verloren gegangen. Aber das Gefühl? Das ist geblieben.

Ich habe damals eine Menge gelernt – nicht nur über Fahrräder oder Zäune. Sondern über mich. Über das Leben. Und über das, was es heißt, aufzustehen, wenn man gefallen ist.

  • Scheitern ist kein Rückschritt – sondern ein Schritt nach vorn.
  • Stolz ist ein starkes Pflaster – aber Lachen ist noch besser.
  • Die schönsten Erfolge beginnen oft mit einem ordentlichen Hinfallen.

Warum solche Geschichten so wertvoll sind

In unserer heutigen Zeit, in der alles schnell gehen muss, in der Fehler oft versteckt werden und Perfektion als Ziel gilt, sind solche Geschichten wie ein warmer Kakao für die Seele. Sie erinnern uns daran, dass wir Menschen sind. Dass wir stolpern dürfen. Und dass genau diese Momente die sind, an die wir uns Jahrzehnte später noch mit einem Lächeln erinnern.

Vielleicht erzählst Du Deinem Enkel oder Deiner Enkelin ja mal von Deinem ersten Fahrrad. Von Deinen aufgeschürften Knien. Von Deinem ganz persönlichen Zaun. Denn genau das macht das Leben aus: Geschichten, die von Herzen kommen. Und Herzen erreichen.

Ein Hoch auf alle ersten Male – und alle, die uns dabei begleiten

Ob das erste Fahrrad, der erste Schultag, der erste Kuss oder das erste Mal, dass man alleine Brötchen holen durfte – diese ersten Male sind unsere kleinen Meilensteine. Sie machen uns zu dem, was wir sind. Und sie bleiben. Als Geschichten. Als Bilder. Als warme Gedanken an eine Zeit, in der die Welt noch ein bisschen größer und wir ein bisschen kleiner waren.

 

Und wenn Du heute als Opa auf der Gartenbank sitzt, den Vögeln lauschst, und plötzlich an Deinen ersten Sturz mit dem Fahrrad denkst – dann sei Dir sicher: Du bist damit nicht allein. Denn irgendwo, auf irgendeiner Straße, fährt gerade ein Kind wackelig auf zwei Rädern – und lernt, dass jeder Zaun auch eine Geschichte wert ist.

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