Wer heute zu spät kommt, greift wie automatisch zum Handy: „Sorry, Stau!“, „Der Bus hatte Verspätung!“, oder ganz klassisch: „Mein Akku war leer.“ Und während die Nachricht tipp-tipp bei WhatsApp rausgeht, kommt die Antwort mit einem lachenden Smiley zurück. Alles halb so wild. Aber mal ehrlich: Wie war das eigentlich früher, als wir jung waren? In einer Zeit ohne Handy, Navi und Live-Abfahrtszeiten?
Pünktlichkeit war Ehrensache
Wenn mein Vater früher „um sechs“ sagte, dann meinte er: Punkt sechs. Keine Minute später. Pünktlichkeit war nicht nur eine Tugend, sie war Ehrensache. Wer zu spät kam, hatte keinen Respekt gezeigt – so wurde das gesehen. Ein pünktlicher Mensch galt als zuverlässig, ordentlich und vertrauenswürdig. Und wehe, man hat sich verspätet! Dann hieß es schnell: „Auf dich ist kein Verlass.“
Gerade bei Verabredungen mit Freunden oder beim ersten Rendezvous war das besonders wichtig. Man stand da, meist schon fünf Minuten früher, oft mit klopfendem Herzen, und wartete. Ohne Handy. Ohne Uhr am Handgelenk manchmal. Man horchte auf die Kirchenglocken oder fragte einen Passanten nach der Uhrzeit. Wenn der andere nicht kam, blieb man dennoch da. Minuten, manchmal Stunden.
Der Wecker war kein Teamplayer
Der Klassiker damals: der schrille, mechanische Wecker auf dem Nachttisch. Kein Snooze-Button, kein sanftes Vogelgezwitscher, das dich liebevoll weckt. Nein, das Ding ratterte los wie ein kleiner Panzer. Und wenn du ihn überhörtest oder im Halbschlaf ausgeschaltet hast, war niemand da, der dich erinnerte. Und zu spät? Pech gehabt.
In der Schule gab es kein „Ich bin zu spät, weil mein Bus zu früh gefahren ist“. Da hieß es: „Dann geh eben früher los.“ Punkt. Und im Berufsleben? „Verspätung“ war ein Wort, das man sich besser gar nicht erst leisten konnte. Besonders in der Ausbildung war Pünktlichkeit Pflicht. Eine Minute zu spät konnte schon einen Rüffel geben.
Treffpunkte ohne Handy? Kein Problem!
„Wir treffen uns an der Litfaßsäule am Marktplatz um 15 Uhr.“ So einfach war das. Und es hat funktioniert! Man stand da, wartete, und war guter Dinge, dass der andere auch gleich um die Ecke bog. Kam jemand nicht, hat man sich Gedanken gemacht: Vielleicht was passiert? Aber einfach heimgehen? Das machte man nicht. Man blieb, wartete, hatte Geduld. Heute unvorstellbar, oder?
Auch die gute alte Telefonzelle war ein Rettungsanker. Aber eben nur, wenn man vorher daran gedacht hatte, ein paar Groschen einzustecken. Und wehe, die Leitung war besetzt oder jemand stand schon drin und telefonierte ewig. Da wurde der Geduldsfaden ganz schön strapaziert.
Keine Ausrede? Doch, aber eine gute musste es sein!
Ganz ohne Ausreden ging es natürlich auch früher nicht. Der Klassiker: „Der Bus kam nicht“ oder „Ich musste noch meiner Mutter helfen“. Aber das waren keine Sprüche, die man einfach in die Luft warf. Die mussten sitzen. Überzeugend sein. Und vor allem: selten vorkommen. Wer zu oft mit einer „Erklärung“ kam, galt schnell als unzuverlässig.
Und wenn man mal zu spät kam, dann war das Gesicht lang und der Blick entschuldigend. Kein lockerer Spruch, kein Emoji, sondern ein ehrliches „Es tut mir leid.“ Vielleicht sogar ein Händedruck oder eine kleine Wiedergutmachung. Weil man wusste: Das war jetzt nicht okay.
Vom Wert der Zeit
Früher war Zeit irgendwie kostbarer. Wenn jemand seine Zeit mit dir teilte, war das ein Geschenk. Pünktlich sein bedeutete: Ich respektiere dich. Ich nehme dich ernst. Und ich will, dass du dich auf mich verlassen kannst. Das hatte Gewicht.
Heute, in Zeiten von ständiger Erreichbarkeit und Kalender-Apps, ist die Zeit zwar durchgeplant, aber oft wenig bewusst. „Komm 15 Minuten später“ ist normal geworden. Aber früher? Da war jede Minute, die man zu spät kam, fast schon eine kleine Beleidigung. Ohne es zu wollen.
Kinder, die auf die Eltern warteten
Ich erinnere mich noch gut an die Schulzeit. Wenn mein Vater mich mal abholen wollte (was selten vorkam, er arbeitete viel), dann stand ich da und wartete. Und wartete. Und manchmal kam er nicht. Kein Anruf, keine Nachricht. Ich hab dann beschlossen: Ich lauf eben heim. Drei Kilometer zu Fuß. Kein Drama. Einfach gemacht. Aber ich hab mir vorgenommen: Wenn ich mal Kinder habe, lass ich sie nicht so warten.
Heute würden Eltern zehn Mal anrufen oder schreiben: „Ich bin gleich da!“, „Stau!“, „Bin in fünf Minuten da!“ Damals war Schweigen die einzige Nachricht. Und trotzdem – oder gerade deswegen – haben wir gelernt, geduldig zu sein. Zu vertrauen. Und im Zweifel selber einen Weg zu finden.
Bahnfahren ohne App und Echtzeit-Info
Früher fuhr man zur Haltestelle und hoffte, dass der Bus kam. Punkt. Wenn er nicht kam, wartete man. Oder man fragte jemanden, der aussah, als wüsste er mehr. Manchmal gab’s einen ausgehängten Fahrplan – vergilbt und eingerissen. Und selbst wenn da stand „alle 20 Minuten“ wusste man: Kann auch 30 dauern. Oder 40. Und manchmal kam er gar nicht. Dann hieß es: Laufen.
Eine Entschuldigung beim Arbeitgeber? „Der Bus kam nicht“ zählte nur beim ersten Mal. Danach hieß es: „Dann nimm den früheren.“ Verantwortung übernehmen war angesagt. Kein Algorithmus, kein Navigationssystem. Nur du, deine Uhr und dein Pflichtgefühl.
Der kleine Stolz, pünktlich zu sein
Es gab diesen inneren Stolz, wenn man pünktlich war. „Ich war auf die Minute da!“ – das war eine Leistung. Heute fragt man sich: Warum eigentlich? Aber damals war das ein Zeichen: Ich hab’s im Griff. Ich bin zuverlässig. Ich bin jemand, auf den man sich verlassen kann. Und das war viel wert.
Ich weiß noch, wie ich als junger Mann meine erste Freundin vom Bahnhof abholen sollte. Sie sagte: „Ich komme mit dem Zug um 16:07 Uhr.“ Ich war um 15:50 da. Nervös, aufgeregt, aber pünktlich. Ich wollte nicht, dass sie auf mich wartet. Und als sie dann ausstieg und mich sah, strahlte sie. Und sagte: „Du bist da.“ Das war alles. Und es reichte.
Heute anders – aber schlechter?
Nein, das wäre zu einfach. Heute hat sich vieles verändert. Man ist flexibler, spontaner, schneller im Kommunizieren. Und ja, das hat Vorteile. Niemand muss mehr frierend an der Ecke warten. Man schreibt kurz: „Bin unterwegs!“ und alle sind informiert.
Aber vielleicht ist auch etwas verloren gegangen. Diese Verbindlichkeit. Dieses stille Versprechen: „Wenn ich sage, ich bin da, dann bin ich da.“ Ohne Wenn und Aber. Ohne Nachricht. Ohne Emoji.
Vielleicht könnten wir uns davon ein bisschen zurückholen. Nicht als Regel, sondern als Haltung. Pünktlich sein nicht, weil’s im Kalender steht, sondern weil uns der andere wichtig ist. Weil wir zeigen wollen: Ich sehe dich. Ich respektiere deine Zeit. Und ich bin gern mit dir da.
Fazit: Keine Ausreden, nur Geschichten
Ob früher wirklich alles besser war, sei dahin gestellt. Aber manches war bewusster. Langsamer. Ehrlicher. Wer zu spät kam, hatte meist keine Ausrede. Sondern eine Geschichte. Und manchmal war genau das die Brücke: Erzählen, was passiert ist. Warum man sich verspätet hat. Und zuhören, wenn der andere sagt: „Ich hab mir Sorgen gemacht.“
Vielleicht ist das das größte Learning aus dieser Zeit: Es geht nicht um Minuten. Es geht um Menschen.