Opa-Alltag & FamilienlebenGeschichten aus dem Opa-AlltagWas ich beim Frühstück mit meinem Urenkel über Geduld gelernt habe

Was ich beim Frühstück mit meinem Urenkel über Geduld gelernt habe

Untertitel: Wie ein ganz gewöhnlicher Morgen zwischen Toast, Marmelade und Milch zu einer kleinen Lebensschule wurde – für uns beide

Manchmal sind es nicht die großen Erlebnisse, die uns etwas fürs Leben lehren. Es sind die leisen Momente, die überraschenden Wendungen im Alltag. So ein Moment war für mich das Frühstück mit meinem kleinen Urenkel Emil. Ich hatte ihn gerade einmal zwei Tage lang zu Besuch – und doch habe ich in dieser kurzen Zeit etwas gelernt, das mir keiner so liebevoll hätte beibringen können: Geduld. Und zwar nicht aus einem Buch, sondern mit klebrigen Fingern, neugierigen Fragen und einem Hocker, der ständig wackelte. Und ja, auch mit ein bisschen Chaos auf dem Küchentisch.

Der Morgen beginnt wie immer – fast

Es war ein Freitagmorgen. Draußen nieselte es leicht, die Kaffeemaschine blubberte leise vor sich hin, und ich deckte wie gewohnt den Frühstückstisch. Brötchen, etwas Butter, Marmelade, Käse, eine kleine Kanne Tee – und ein Schälchen Kakao für Emil. Es roch nach warmem Geborgenheitsgefühl, nach einem langsamen Start in den Tag.

 

Emil ist fünf. Ein Wirbelwind mit Lockenkopf und einer Stimme, die gleichzeitig tausend Fragen stellen kann. Und an diesem Morgen war er schon wach, ehe ich den ersten Kaffee trinken konnte. „Opa, darf ich helfen?“ rief er von der Küchentür. Ich sah seine großen Augen, voller Tatendrang – und konnte natürlich nicht nein sagen.

Klar durfte er. Auch wenn ich innerlich schon ahnte, dass „helfen“ heute mehr Zeit brauchen würde als sonst. Ich atmete tief durch. „Na klar, mein Großer. Was möchtest du übernehmen?“

Marmelade mit Umwegen

„Ich möchte den Tisch decken!“ verkündete Emil stolz. Ich nickte, stellte ihm einen Hocker hin und beobachtete, wie er die Teller aus dem Schrank balancierte. Einer nach dem anderen. Nicht gerade zügig, aber mit beeindruckender Konzentration. Ich traute mich kaum zu atmen, als er mit der Mühe eines Seiltänzers die Tassen an ihren Platz stellte. „Und jetzt die Butter!“ – Er öffnete den Kühlschrank, suchte, fragte, fand, stellte sie auf den Tisch. Jeder Schritt dauerte. Und ich merkte, wie meine Finger nervös zuckten. Wie ich am liebsten schnell eingegriffen hätte. Wie ich innerlich seufzte.

Aber ich ließ ihn machen. Und ich lernte. Denn was da geschah, war mehr als nur ein Kind, das helfen wollte. Es war ein kleiner Mensch, der ernst genommen werden wollte. Der lernen wollte. Der spüren wollte: Ich kann das! Und das Gefühl von Vertrauen, das ich ihm damit gab, war für ihn vermutlich genauso wertvoll wie das Brötchen, das er später stolz schmieren würde.

Die Sache mit dem Löffel

Als wir endlich saßen – die Brötchen waren inzwischen nicht mehr ganz warm – begann Emil sein Brot zu schmieren. Erst die Butter. Dann die Marmelade. Doch statt eines Messers nahm er einen Löffel. Ich wollte gerade ansetzen: „Nein Emil, nimm doch lieber…“ – da hielt ich inne. Warum eigentlich nicht?

Mit Hingabe löffelte er die Erdbeermarmelade aus dem Glas, verteilte sie großzügig, dann zu großzügig, dann fiel ein Klecks auf die Tischdecke. Er guckte mich erschrocken an. Und ich lächelte. „So sieht mein Brötchen auch manchmal aus, wenn ich es besonders gut meine“, sagte ich. Emil lachte.

In diesem Moment verstand ich: Geduld hat nichts mit Abwarten zu tun. Sie hat mit Vertrauen zu tun. Vertrauen, dass Dinge ihren Weg finden. Dass Lernen Zeit braucht. Dass Fehler dazugehören. Und dass ein Tropfen Marmelade auf der Decke kein Weltuntergang ist – sondern manchmal sogar ein Beweis für echtes Bemühen.

Kleine Fragen, große Gedanken

Während wir frühstückten, löcherte Emil mich mit Fragen: „Warum ist die Marmelade rot?“ – „Wie viele Brötchen kann ein Vogel essen?“ – „Wie alt bist du genau, Opa?“ Ich antwortete, lachte, dachte nach. Und wieder staunte ich: Kinder sind nicht langsam, weil sie trödeln. Sie sind langsam, weil sie alles wahrnehmen. Sie sind aufmerksam. Sie leben im Moment. Für sie zählt nicht die To-do-Liste, sondern der Kakao, der gerade noch ein bisschen zu heiß ist.

Ich hingegen war oft schon drei Schritte weiter. Dachte an den nächsten Termin, an die Spülmaschine, an den Tag, der noch vor mir lag. Emil aber war ganz hier. In seinem Stuhl. Bei seinem Brötchen. Und ich bei ihm. Und plötzlich wurde aus diesem Moment etwas Besonderes. Nicht, weil wir etwas Großes planten – sondern weil wir etwas Kleines gemeinsam erlebten.

Die Kunst, einfach da zu sein

Nach dem Frühstück wollte ich aufräumen. Emil meinte: „Warte, ich bringe meinen Teller selbst!“ Es dauerte. Und wieder: dieser innere Impuls, schneller sein zu wollen. Aber ich blieb sitzen. Schaute ihm zu. Sah, wie er vorsichtig den Teller hielt, wie er konzentriert zur Spüle ging. Kein Tropfen fiel. Und sein Lächeln, als er fertig war, war unbezahlbar.

In diesem Moment begriff ich: Kinder brauchen keine perfekten Erwachsenen. Sie brauchen präsente Erwachsene. Menschen, die nicht nur körperlich, sondern auch innerlich da sind. Ich erinnerte mich an meine Kindheit. An meinen Großvater. Wie er mir mit Geduld das Schleifebinden beibrachte. Wie er nie laut wurde, wenn ich beim Werkeln etwas umstieß. Wie er einfach da war. Ich hatte es vergessen. Emil erinnerte mich daran.

Geduld ist kein Luxus – sie ist Liebe in Aktion

Ich glaube, wir Erwachsenen verlernen oft die Geduld, weil alles so schnell gehen muss. Technik, Termine, To-do-Listen. Doch mit Emil an meiner Seite wurde mir bewusst: Geduld ist kein Zeitfresser. Sie ist ein Geschenk. Für uns selbst und für die Menschen, die wir lieben. Sie ist das stille Ja zu einem Moment, der sonst vorbeiziehen würde.

Denn Geduld bedeutet: Ich nehme dich ernst. Ich sehe dich. Ich höre dir zu. Und ich lasse dich wachsen – in deinem Tempo. Es ist ein stilles, aber kraftvolles Zeichen von Zuwendung.

Was Emil mir gezeigt hat

In diesen zwei Frühstücksstunden habe ich mehr über Geduld gelernt als in vielen Lebensjahren davor. Und das kam nicht aus einem Ratgeber, sondern aus den kleinen Gesten eines Kindes:

  • Geduld ist Zuhören. Auch wenn die Geschichte zum dritten Mal erzählt wird.
  • Geduld ist Vertrauen. Auch wenn man weiß, dass es schneller ginge.
  • Geduld ist Präsenz. Ganz da sein – ohne Handy, ohne Ablenkung.
  • Geduld ist Zuneigung. Sie zeigt sich in Blicken, Gesten, kleinen Erlaubnissen.
  • Geduld ist Hoffnung. Der Glaube daran, dass aus jedem kleinen Versuch etwas Gutes wachsen kann.

Am Ende war alles gut – weil nichts perfekt sein musste

Der Tisch war ein bisschen klebrig, die Brötchen hatten Druckstellen, die Tischdecke war befleckt. Aber der Morgen war goldwert. Nicht, weil alles glattlief – sondern weil wir ihn gemeinsam erlebt haben. Ohne Eile. Mit offenem Herzen.

Ich habe beschlossen: Wenn Emil das nächste Mal kommt, werden wir wieder gemeinsam frühstücken. Und ich werde wieder lernen – von ihm. Vielleicht diesmal über Mut. Oder Fantasie. Oder das Geheimnis, warum Marmelade an den Fingern besser schmeckt als auf dem Brot. Und vielleicht schreibe ich dann wieder auf, was ich dabei erfahren habe. Denn jeder Tag mit Emil ist eine kleine Entdeckungsreise – zu ihm, aber auch zu mir.

Fazit: Man ist nie zu alt, um Geduld neu zu entdecken

Wenn ich heute an diesen Morgen zurückdenke, wird mir warm ums Herz. Ich sehe seinen Lockenkopf vor mir, höre sein Lachen, spüre die Ruhe, die sich in mir ausbreitete. Und ich weiß: Ich will mir diese Geduld bewahren. Nicht nur für Emil, sondern für alle Menschen, die mir begegnen.

 

Denn Geduld verändert nicht die anderen – sie verändert uns selbst. Sie macht uns weicher. Offener. Und manchmal auch ein kleines bisschen glücklicher. Und wenn wir das schaffen – ein bisschen mehr Geduld zu leben – dann haben wir nicht nur Zeit verschenkt, sondern Liebe.

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