Gesellschaft & EngagementEhrenamt & MitgestaltungWie ich als Vorlese-Opa in der Kita Kindern eine Welt eröffne

Wie ich als Vorlese-Opa in der Kita Kindern eine Welt eröffne

Mit Geschichten Brücken bauen – und dabei selbst Neues entdecken

Es begann ganz unscheinbar: Ein Aushang am schwarzen Brett des Nachbarschaftshauses. „Vorlese-Omas und -Opas gesucht – für die Kita Sonnenblume.“ Ich las den Zettel, ging weiter – und blieb dann doch nochmal stehen. Vorlesen? In einer Kita? Ich hatte keine Ahnung, ob ich dafür geeignet wäre. Aber irgendetwas hat mich angesprochen. Heute, Jahre später, weiß ich: Es war eine der schönsten Entscheidungen meines Lebens.

Der erste Schritt – mit klopfendem Herzen

Als ich das erste Mal die Kita betrat, war ich fast nervöser als vor einem Bewerbungsgespräch. Kinderlachen in der Ferne, bunte Bilder an den Wänden, winzige Garderobenhaken mit Namensschildern – ich war mitten in einer Welt, die ich lange nicht betreten hatte.

 

Die Erzieherin begrüßte mich herzlich: „Na, Sie sind also unser neuer Vorlese-Opa? Die Kinder freuen sich schon.“ Ich wusste nicht, ob sie das nur sagte, um mich zu beruhigen – aber es wirkte. Ich setzte mich auf den kleinen Stuhl, die Kinder kamen nach und nach hereingetröpfelt, setzten sich in den Kreis. Und dann las ich. „Der kleine Wassermann“ war mein erstes Buch. Ich hatte es selbst als Kind geliebt. Und jetzt, da ich las, wurde es wieder lebendig – nicht nur für mich, sondern vor allem in den großen Augen der Kinder.

Meine Stimme zitterte anfangs, doch das legte sich schnell. Die Kinder gaben mir das Gefühl, willkommen zu sein. Ihre Reaktionen waren ehrlich, ihre Fragen direkt. Und spätestens als mich eines der Kinder fragte, ob ich morgen wiederkäme, wusste ich: Hier bin ich richtig.

Warum Vorlesen mehr ist als nur Geschichten erzählen

Beim Vorlesen geht es nicht nur darum, Sätze vorzulesen. Es geht um Nähe. Um Aufmerksamkeit. Um gemeinsam in eine Welt einzutauchen, die größer ist als der Gruppenraum. Ich merkte schnell: Wenn ich lebendig lese, wenn ich meine Stimme verstelle, Fragen stelle, Pausen mache – dann hängen sie an meinen Lippen. Dann entsteht Magie.

Diese Magie ist beidseitig. Denn auch ich werde reich beschenkt. Mit Neugierde, Spontanität, manchmal auch mit völlig überraschenden Fragen: „Warum ist der Mond nicht aus Schokolade?“ oder „Können Drachen niesen?“ Ich lerne jedes Mal dazu – über Fantasie, aber auch über die Art, wie Kinder die Welt sehen. Und das ist einfach wunderbar.

Vorlesen ist auch Sprachförderung, Bildungsarbeit, Integrationshilfe – ohne dass es sich so anfühlt. Es passiert ganz nebenbei, mitten im Lachen, Staunen und Mitfiebern. Das ist das Schöne daran.

Die Kinder – ehrlich, direkt und voller Fantasie

Was ich besonders schätze, ist die Ehrlichkeit der Kinder. Wenn eine Geschichte langweilig ist, sagen sie es. Wenn sie lachen, dann aus vollem Herzen. Sie unterbrechen auch mal – nicht, weil sie unhöflich sind, sondern weil sie wirklich mitdenken. „Aber Opa, warum hat der Bär keinen Helm beim Fahrradfahren?“ – solche Einwürfe gehören dazu. Und sie machen das Ganze lebendig.

Ein Junge fragte mich einmal, ob ich Findus kenne. Ich antwortete: „Natürlich, der wohnt doch in meiner Werkzeugkiste.“ Seitdem bin ich für die Kinder nicht nur Vorleser, sondern auch ein bisschen Magier. Und ich spiele diese Rolle gerne. Weil ich sehe, was sie bewirkt.

Manche Kinder sind eher still, brauchen Zeit. Andere sprudeln los. Es gibt Kinder mit Migrationshintergrund, denen ich beim Vorlesen ganz nebenbei die deutsche Sprache näherbringe. Es gibt Kinder mit besonderen Bedürfnissen, die beim Vorlesen plötzlich ganz aufmerksam werden. Jede Begegnung ist anders – und jede ist wertvoll.

Meine Rituale – und warum sie helfen

Ich habe mit der Zeit kleine Rituale entwickelt: Vor dem Vorlesen zünde ich (symbolisch) ein „Geschichtenlicht“ an – eine kleine LED-Kerze. Dann beginnt die „Reisezeit“. Wir tun so, als steigen wir gemeinsam in ein unsichtbares Boot oder auf einen fliegenden Teppich. Am Ende der Geschichte landen wir wieder in der Kita. Diese spielerischen Elemente helfen den Kindern, sich zu konzentrieren – und machen aus dem Vorlesen ein richtiges Abenteuer.

Auch das Mitbringen von Figuren oder Bildern hat sich bewährt. Wenn ich aus „Pettersson und Findus“ vorlese, bringe ich manchmal eine selbstgebastelte Katze mit. Das sorgt für Lacher – und bleibt im Gedächtnis. Für „Jim Knopf“ habe ich sogar eine kleine Lokomotive aus Holz gebastelt. Die Kinder durften sie anfassen und die Geschichte wurde plötzlich greifbar.

Hin und wieder machen wir auch Mitmach-Geschichten. Da dürfen die Kinder Geräusche übernehmen oder sich bewegen, wenn etwas Spannendes passiert. Diese aktive Beteiligung macht das Vorlesen zu einem echten Gruppenerlebnis.

Was ich mitnehme – über die Kita hinaus

Seit ich regelmäßig in der Kita vorlese, hat sich mein Blick auf viele Dinge verändert. Ich habe mehr Geduld. Ich höre genauer hin. Ich kann mich besser auf den Moment einlassen. Die Kinder erinnern mich daran, wie wichtig Neugier und Staunen sind. Sie leben das, was wir Erwachsenen oft verlernt haben.

Ich bekomme von den Erzieherinnen oft gesagt, wie wertvoll mein Einsatz sei. Aber ich denke oft: Ich bin der, der am meisten profitiert. Denn ich bekomme etwas, das unbezahlbar ist – Verbindung. Nähe. Sinn.

Und ich merke: Mein eigenes Leben hat sich entschleunigt. Ich hetze nicht mehr durch den Tag. Ich nehme mir Zeit für Details. Für Geschichten. Für Menschen. Ich spüre, wie gut das tut.

Warum ich jedem den Mut wünsche, es selbst zu probieren

Wenn du denkst, dass du nicht der geborene Vorleser bist – glaub mir, das dachte ich auch. Man muss keine perfekte Betonung haben. Keine Theaterstimme. Es reicht, wenn man offen ist. Wenn man gerne Zeit schenkt. Und wenn man bereit ist, sich auf kleine Menschen einzulassen.

 

Die Kinder erwarten keine Show. Sie wollen Nähe. Sie wollen Geschichten. Sie wollen jemanden, der sich auf sie einlässt. Und das kannst du sein. Mit deiner Stimme. Mit deinem Herzen.

Ich wünsche mir, dass noch viele Großeltern den Mut fassen, sich zu trauen. Es gibt viele Kitas, die sich über Unterstützung freuen. Und ich verspreche dir: Du bekommst mehr zurück, als du gibst.

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