Neulich saßen wir auf der alten Gartenbank hinterm Haus. Mein Enkel zappelte herum, drehte sich nach jeder Mücke um und unterbrach mich zum vierten Mal, während ich gerade von meinem ersten Fahrradunfall erzählen wollte. Da wurde mir eines klar: Zuhören ist heute nicht mehr selbstverständlich – und das ist kein Vorwurf. Es ist eine Einladung, etwas Wertvolles weiterzugeben.
Ich möchte dir heute erzählen, warum mir das Thema Zuhören so am Herzen liegt, wie ich es meinem Enkel näherbringe – und warum Geschichten dabei mein bester Helfer sind. Denn Geschichten öffnen Türen, wo Regeln Mauern bauen. Sie laden ein, statt zu fordern. Und genau das ist der Weg, den ich mit meinem Enkel gehe – Schritt für Schritt, Ohr an Ohr.
Warum Zuhören heute so kostbar ist
In einer Welt voller Reize, in der Bildschirme blinken, Stimmen durcheinander plappern und alles schnell gehen muss, ist das stille Zuhören zu einer seltenen Fähigkeit geworden. Kinder (und übrigens auch viele Erwachsene) sind es kaum noch gewohnt, einfach mal still zu sein und jemandem aufmerksam zu folgen.
Dabei steckt im Zuhören so viel mehr als nur „nichts sagen“. Zuhören bedeutet:
- Aufmerksamkeit schenken
- Gefühle wahrnehmen
- Gedanken mitgehen
- Respekt zeigen
Wenn mein Enkel mir wirklich zuhört – mit seinen großen, wachen Augen – dann passiert etwas Magisches. Da entsteht Verbindung. Vertrauen. Und genau das wünsche ich mir für ihn: Dass er lernt, wie wertvoll echtes Zuhören ist – für Freundschaften, für die Familie, fürs ganze Leben.
Denn wer zuhören kann, kann verstehen. Und wer versteht, kann mitfühlen. Es ist ein leiser, aber kraftvoller Schlüssel zu echtem Miteinander.
Regeln? Die hat er schon genug
In der Schule muss er stillsitzen. Im Sportverein soll er Anweisungen befolgen. Zuhause gibt’s Tischregeln, Medienzeiten, Hausaufgabenpflicht. Ich merke oft, wie voll sein Kopf schon ist mit „du darfst nicht“ und „du musst jetzt“.
Also wollte ich anders an das Thema Zuhören herangehen. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Herz und Humor. Nicht als Lehrer, sondern als Opa. Ich will keine zusätzliche Last auf seine Schultern legen – ich möchte ihm einen Schatz in die Hand geben.
Und was liegt da näher als meine alte Leidenschaft: das Geschichtenerzählen. Geschichten sind keine starren Vorschriften. Sie sind beweglich, lebendig, voll Farben und Klänge. Und sie haben die Kraft, unbemerkt in Herz und Kopf zu wandern.
Geschichten schaffen Nähe
Ich erinnere mich gut an meine Kindheit: Wenn mein Großvater mir von früher erzählte – von seinem alten Moped, vom Winter 1956 oder von seiner ersten großen Liebe – dann war ich ganz Ohr. Nicht, weil er sagte: „Jetzt hör mal zu!“ Sondern weil seine Geschichten lebendig waren.
Genau das habe ich übernommen. Ich erzähle meinem Enkel keine Märchen, sondern Geschichten aus dem echten Leben:
- Wie ich beim Angeln fast in den Teich gefallen bin
- Wie mein Freund Uwe und ich uns gestritten – und wieder versöhnt haben
- Wie ich mal heimlich Kekse stibitzt und dann meine Lektion gelernt habe
In jeder dieser Geschichten steckt eine Botschaft. Und das Beste: Er merkt es gar nicht. Er hört zu, lacht, fragt nach – und ganz nebenbei lernt er Geduld, Empathie und Konzentration.
Manchmal entwickelt sich daraus ein richtiges Gespräch. Dann erzählt er mir von einem Streit mit seinem Freund Tim oder davon, dass er sich ungerecht behandelt fühlte. Und ich merke: Das Zuhören, das er übt, gibt er schon weiter. Das macht mich stolz – und dankbar.
Zuhören will geübt sein – spielerisch und leicht
Zuhören ist keine angeborene Superkraft. Es ist wie Fahrradfahren: Man kann es lernen, wenn man die Chance bekommt. Und je früher, desto besser.
Ich habe kleine Rituale eingeführt. Zum Beispiel:
- Geschichten-Zeit nach dem Abendessen: 10 Minuten, die nur uns gehören. Ohne Handy, ohne Fernsehen. Dafür mit Kuscheldecke und Tee.
- Fragen stellen: „Was glaubst du, wie die Geschichte weitergeht?“ oder „Was hättest du an meiner Stelle gemacht?“ – so bleibt er nicht nur Zuhörer, sondern wird Teil der Erzählung.
Oft sucht er sich inzwischen selbst ein Thema aus. „Erzähl mir nochmal von dem Hund, der dir das Butterbrot geklaut hat!“ – und schon geht’s los. Ich mache keine große Sache daraus. Es ist wie ein kleines Ritual geworden, das uns verbindet.
Und weißt du was? Es wirkt. Er unterbricht seltener. Er wartet ab. Er fragt nach – weil er wissen will, wie es ausgeht. Es ist wie ein kleines Fenster, das sich öffnet – in seine Aufmerksamkeit, in seine Welt.
Was ich dabei selbst gelernt habe
Ganz ehrlich: Auch ich musste lernen, zuzuhören. Oft war ich früher mit meinen Gedanken schon beim nächsten Satz, statt wirklich präsent zu sein.
Mein Enkel hat mir geholfen, das wieder zu üben. Wenn er mir von Minecraft erzählt – mit tausend Worten und leuchtenden Augen – dann zwinge ich mich, nicht abzuschalten. Ich frage nach, bleibe dran. Denn wenn ich möchte, dass er mir zuhört, muss ich es ihm vorleben.
Es sind nicht immer nur die großen Themen, bei denen Zuhören wichtig ist. Auch bei den kleinen Dingen – dem Lego-Set, dem Comic oder dem verlorenen Radiergummi – steckt oft mehr drin, als man denkt. Und genau da zeigt sich Wertschätzung: Wenn ich ihm zuhöre, zeige ich ihm, dass er zählt.
Das ist vielleicht die schönste Erkenntnis aus unserem kleinen Projekt: Zuhören ist ein gegenseitiges Geschenk. Es ist ein ständiger Wechsel von Geben und Nehmen, von Erzählen und Verstehen.
Zwei kleine Tipps aus dem Opa-Alltag
1. Geschichten statt Belehrungen
Wenn dein Enkel wieder mal dazwischenquatscht oder keine Geduld zeigt – erzähl ihm eine passende Geschichte. Vielleicht von der Zeit, als du selbst zu ungeduldig warst. Das bleibt besser hängen als jede Regel.
Geschichten sind wie Spiegel – dein Enkel kann sich darin wiedererkennen, ohne dass du den Finger erhebst. Und manchmal reicht schon ein Blick, ein Schmunzeln oder eine unerwartete Wendung, um den Funken zu zünden.
2. Zuhören belohnen
Ein einfaches „Danke, dass du mir zugehört hast“ wirkt Wunder. Ein Schulterklopfen. Ein Lächeln. Kinder merken sich nicht nur, was du sagst – sondern wie du sie dabei fühlen lässt.
Und manchmal ist die größte Belohnung die Zeit selbst. Dass man merkt: Hier hört mir jemand wirklich zu. Und ich bin wichtig.
Fazit: Zuhören ist Beziehungspflege
Am Ende geht’s nicht nur ums brave Stillsein. Es geht ums Miteinander. Ums Verstehen. Ums Herzöffnen. Und das gelingt am besten, wenn wir uns gegenseitig Zeit schenken – für Geschichten, für Gedanken, für echtes Zuhören.
Ich wünsche jedem Kind einen Menschen, der ihm nicht nur sagt, was wichtig ist – sondern es zeigt. In Geschichten. Mit Liebe. Und mit offenen Ohren.
Denn genau so bleiben Werte lebendig. Und genau so werden wir als Großeltern unvergesslich.